Lebensfreude

Während ich am ersten Teil meines Buches arbeitete, fiel mir auf, dass ich fast vergessen hatte, wie optimistisch und lebensfroh ich mal gewesen war. Die positive Lebenseinstellung, die Motivation, weiterzumachen, und die Lebensfreude sprangen mir förmlich aus den Texten entgegen. Doch rückblickend betrachtet war es eine oberflächliche Freude ohne Tiefe. Eine Freude, die davon abhängt, ob das Leben „gut läuft“, und verbunden ist mit der Hoffnung, dass es irgendwann in der Zukunft besser sein würde als im jetzigen Moment. Um keinen Preis der Welt würde ich die im Laufe der Zeit entstandene Tiefe, das Gefühl von Ganzheit und die Verbundenheit mit dem Jetzt gegen diese damals empfundene Freude eintauschen wollen – ganz egal, in welchem Zustand und in welcher Emotionslage ich mich befinde. Es ist ein Unterschied, ob Lebensfreude aus dem Kopf kommt oder aus dem tiefen Inneren des ganzen Körpers. Letztere ist immer da, auch wenn vielleicht gerade Traurigkeit, Wut, Verzweiflung, Angst oder körperliche Symptome darüber liegen.

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Termin vereinbaren

In einem Moment, als ich wegen einer vermeintlichen Kleinigkeit am liebsten heulen würde, denkt sich ein Teil von mir: „Stell dich doch nicht so an, Steffi. So schlimm ist das jetzt auch wieder nicht.“

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Arzttermin in der Stadt

Ich fahre für einen Arzttermin in die Stadt. Der Bus ist relativ voll und mehrere Menschen unterhalten sich. Ich dämpfe die Geräusche so gut es geht mit meinen Ohrstöpseln ab und versuche mich auf die Felder draußen vor dem Fenster zu konzentrieren, aber einen Teil davon höre ich trotzdem. In der Stadt habe ich Zeit zu überbrücken und kaufe ein paar Lebensmittel ein, wofür ich durch ein großes Einkaufszentrum laufe. Die grellen Lichter überall, die Musik im Hintergrund, die Werbetafeln mit Videos, die Gesprächsfetzen von anderen Menschen und der Grundlärmpegel erschlagen mich, während ich mir den Weg an Menschen vorbei bahne. Im Laden bin ich enttäuscht, dass es keine Selbstbedienungskassen gibt und ich mich zwischen anderen Menschen an der Kasse anstellen und anschließend mit dem Kassierer kommunizieren muss. Auf dem Weg zum Arzt bahne ich mir wieder den Weg an den entgegenkommenden Menschen vorbei. Parallel dazu nehme ich den Straßenlärm und die tausend visuellen Eindrücke auf. Beim Betreten der Praxis würde ich aufgrund der Menschenansammlung im Wartebereich am liebsten direkt wieder rückwärts aus der Tür hinaus gehen – nicht wegen der potentiellen Wartezeit, sondern weil mehr Menschen automatisch mehr Reize und mehr Energien bedeuten, die ich alle aufnehme. Hinzu kommt noch, dass in der gesamten Praxis Radio im Hintergrund läuft. Ich bin froh, als ich schließlich aufgerufen werde, und dass mir die neue Ärztin sofort sympathisch ist. Noch froher bin ich, als ich fertig und wieder draußen bin. Mit Ohrstöpseln im Ohr gehe ich genervt an der Straße entlang zur Bushaltestelle. Beim Warten auf den Bus ist mir alles zu viel, ich freue mich lediglich über die bunten Bäume, die ein bisschen Natur in die Stadt bringen. Wenigstens ist der Bus auf dem Heimweg relativ leer und ruhig. Ich bin erleichtert als ich endlich die Wohnungstür hinter mir schließe und will nichts mehr hören und sehen von der Welt. Für einen ca. 15 minütigen Termin war ich etwas mehr als zweieinhalb Stunden unterwegs, habe meine gesamte Tagesenergie aufgebraucht und werde den Rest des Tages nur noch Dinge machen, die meinen Akku wieder aufladen. Mein Schrittzähler zeigt an, dass ich unterwegs knapp 3000 Schritte gelaufen bin. 9000 Schritte im Wald wären weniger anstrengend gewesen.

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Vier Leben

Lange Zeit war mein Leben das genaue Gegenteil von dem, was Bosse in seinem Lied „Vier Leben“ beschreibt. Aber sobald es gesundheitlich bergauf geht, will ich am liebsten alles auf einmal machen – schreiben, in der Natur sein, Sport machen, backen, lesen, musizieren. Ich habe das Gefühl, ich muss die letzten neun Jahre nachholen. Ich will schließlich noch leben bevor ich sterbe. Der Tag hat auf einmal nicht mehr zu viele Stunden, sondern zu wenig.

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Optiker Termin

Vor einer Weile stand ein Termin beim Optiker auf meiner ToDo-Liste, weil ich neue Brillen brauchte – einer dieser Termine, die ich liebend gerne wochenlang vor mir herschiebe, weil sie für mich mit großer Anstrengung und Anspannung verbunden sind.

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Meltdown

Ich komme von einem eineinhalb-stündigen „Kaffeeklatsch“, bei dem ich gegen Ende schon wieder mit allem überfordert war, zurück in meine Wohnung. Ich setze mich auf das Fensterbrett und starre das Feld vor dem Fenster an. Ich merke, dass ich überhaupt nicht entspannt, sondern eher wie versteinert bin, und gleichzeitig das Gefühl habe, es ist alles zu viel, die ganze Welt geht mir so dermaßen auf die Nerven, und ich weiß nicht, wie ich dieses Gefühl der Überreizung und Überforderung loswerde und was ich jetzt als nächstes machen soll. Irgendwann stehe ich auf, bewege mich in die Küche und versuche mich mit Essen zu betäuben. Anschließend weine ich eine Weile und höre meine aktuellen Dauerschleifen-Songs. Dann will ich mich zum spazieren gehen aufraffen, weil ich Natur brauche. Doch ich merke, dass ich viel zu viel Spannung in mir habe um rauszugehen. Ich weine aus Verzweiflung eine Weile weiter und zwicke mich in den Arm, weil ich irgendeinen Schmerzreiz brauche. Dann drehe ich Simple Plan „Welcome to my life“ und „Untitled“ laut auf und schreie mir die Songs aus der Kehle (und hoffe, dass meine Oma in der Wohnung unter mir ihr Hörgerät nicht im Ohr hat). Während die Musik immer noch aufgedreht ist, schlage ich aus voller Kraft mit einem Kugelschreiber Löcher in einen leeren Karton und zerreiße ein paar andere Papier- und Kartonstücke. Schließlich fühle ich mich in der Lage, die Wohnung zu verlassen, und habe das Glück, dass es kurz vor Sonnenuntergang bei bewölktem Wetter ist – was bedeutet, es sind nicht mehr viele Menschen unterwegs, und wenn, dann werden sie bald in der Dunkelheit verschwinden. Ich mache einen 4km langen Spaziergang, bei dem ich vor allem bergauf ordentlich aus der Puste komme, und auf gerader Strecke spontan ein paar Lauf-Einheiten einlege, um Energie abzubauen. Ich bin echt dankbar, dass ich so nahe an der Natur wohne, und dass ich mir bei solchen Aktionen keine Gedanken mehr über CFS mache – so kann ich mit der Autismus-bedingten Überforderung und Reizüberflutung besser umgehen. Es ist nicht sonderlich angenehm, aber es fühlt sich nach Leben an. Und danach bin ich innerlich ruhiger – zumindest bis zum nächsten Meltdown.

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Beratungstermin bei der EUTB

Da ich mit meiner ASS-Diagnose nun einen GdB (Grad der Behinderung) beantragen konnte, wollte ich mich hierfür bei der EUTB beraten lassen. Ich war froh, dass ich zeitnah einen Termin bekam, den ich unkompliziert per Mail vereinbaren konnte.

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Paradox

Autistisch zu sein ist ein ständiges Paradox. Ich fühle mich einsam und hätte gerne mehr soziale Kontakte, gleichzeitig brauche ich Rückzug, weil mir alles zu viel ist. Ich will dazugehören und ein Teil der Gesellschaft sein, aber will mich nicht den neurotypischen Verhaltensweisen anpassen, weil es nicht authentisch für mich ist und endlos viel Energie kostet. Ich will akzeptiert werden, so wie ich bin, aber ich will nicht als „komisch“ oder anders auffallen. Einerseits will ich mich zeigen und zur Aufklärung beitragen, andererseits will ich einfach nur meine Ruhe von der Welt. Ich will zu einer inklusiven Gesellschaft beitragen, die Brücken baut und Diversität (in egal welcher Form) schätzt, gleichzeitig fühle ich mich aber am wohlsten, wenn ich von Gleichgesinnten umgeben bin, und würde mich am liebsten nur noch innerhalb dieser Blase bewegen, um Energie zu sparen. Im einen Moment feiere ich mein Leben, weil ich in meinen Spezialinteressen aufgehe, im anderen Moment hänge in depressiver Stimmung fest, weil ich keinen Bock mehr auf diese permanent überfordernde Welt habe. Ich will entweder alles auf einmal, weil ich so viel Lebensmotivation habe, wenn ich das machen kann, wofür ich brenne, oder ich will gar nichts, weil ich wieder im Meltdown, Shutdown und Burnout gelandet bin, wenn alles zu viel war. Ich will das Paradox und die Komplexität des Lebens akzeptieren, aber eigentlich liegt in meiner Natur ein Schwarz-Weiß-Denken, das eine eindeutige Lösung verlangt.

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Autistischer Burnout

Selbst als ich mir mit meinem Autismus-Verdacht immer sicherer wurde und wusste, dass ich seit Jahren einen autistischen Burnout hatte, versuchte ich immer noch, den Burnout irgendwie zu unterdrücken; in den wenigen sozialen Situationen irgendwie mit allerletzter Kraft meine Maske zu tragen und die Rolle zu spielen, die ich seit ich denken konnte, unbewusst gespielt hatte; das letzte bisschen Energie dafür aufzuwenden, so zu tun als ginge es mir gut, nur um anschließend noch kaputter zu sein. Ich hatte schließlich keinen Beweis, keine fachliche Einschätzung, sondern nur eine Selbst-Diagnose, und was, wenn ich mich doch täuschte? Dass ein Meltdown dem nächsten folgte und ich fast durchgehend dissoziiert war, reichte mir anscheinend nicht als Beweis.

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Ich gehöre nicht hier her

Vor einer Weile habe ich mir auf YouTube ein Video von Orion Kelly angeschaut, der selbst Autist ist und mit seiner Arbeit anderen Autist:innen helfen will. In dem Video ging es unter anderem darum, dass Kellys 10-jähriger autistischer Sohn in der Schule ein Referat halten sollte. Ein neurotypischer Mitschüler sollte ihn dann anhand von einem Fragebogen bewerten. Die ersten Kriterien seien so etwas gewesen wie „Er hält Blickkontakt und lässt sich auf das Publikum ein“ oder „Er spricht in angemessenem Tempo“. Erst am Ende sei der Satz gestanden: „Er hat über das Thema im Detail gesprochen und gezeigt, dass er wirklich Ahnung davon hat.“ Mal abgesehen davon, dass es nicht die eine Erfahrung oder Wahrnehmung gebe und so eine Bewertung sowieso immer subjektiv sei, scheine es, als sei das äußere Auftreten wichtiger als die Tatsache, dass jemand bestens über ein Thema Bescheid wisse und sein Wissen an andere weitergeben könne.

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Diagnose Autismus-Spektrum-Störung

„Ok. Also ich nehme es jetzt schon mal vorweg: wir konnten die Diagnose verifizieren“, begann der Psychotherapeut das Abschlussgespräch nach ein paar einleitenden Sätzen. Kurze Pause. „Wie geht’s Ihnen jetzt damit? Was macht das mit Ihnen? Sind Sie erleichtert?“ Im ersten Moment machte es irgendwie nicht so viel wie erwartet mit mir. „Ich bin erleichtert, dass wir der gleichen Meinung sind. Weil sonst würde ich jetzt sehr an meiner Wahrnehmung zweifeln.“ Er schmunzelte. „Und ich merke aber auch, dass es gerade keine große Überraschung ist. Aber ja, ich bin schon erleichtert. Aber es kommt wahrscheinlich später erst wirklich an.“ Er betonte gleich, dass ich nicht falsch sei, sondern Autismus angeboren sei. Und es sei nicht heilbar, aber behandelbar. Der folgende Satz traf mich: „Es ist nicht zu behandeln wie eine Sozialphobie, nach dem Motto ‚Fahren Sie mal ein bisschen öfter in die Stadt‘ oder ‚Gehen Sie mal öfter unter Leute‘.“ „Genau so hat es meine Therapeutin damals immer dargestellt!“, platzte es aus mir heraus. „Das war dann falsch behandelt.“ Das von einem Experten zu hören, war eine Riesen Erleichterung – und Bestätigung. Ich hatte immer das Gefühl gehabt, falsch zu sein, weil ich mich (gezwungenermaßen) so viel zurückzog. Dieses Gefühl hatte er mir damit genommen. In der Therapie damals hatte ich immer den Eindruck gehabt, dass es neben den tiefenpsychologischen Aspekten darum ging, dass ich aktiver werden sollte, um mich meiner Angst zu stellen – und das Wort „Sozialphobie“ war auch einmal gefallen. Aber es hatte sich nie 100% richtig für mich angefühlt und außerdem hatte ich es unfair gefunden. Ich wollte ja mehr unter Menschen gehen, und sobald ich das getan hatte, war die Angst sehr schnell kein Thema mehr gewesen – aber jedes Mal war ich früher oder später komplett ausgelaugt gewesen, sodass nur noch Rückzug möglich gewesen war. 

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Falsche Diagnostikstelle

Nach vielen versendeten Mails, vielen Absagen und wiederholtem vertröstet werden entschied ich mich irgendwann, die ASS (Autismus-Spektrum-Störung) Diagnostik auf eigene Kosten in einer Privatpraxis zu machen. Bei einer Praxis ließ ich mich auf die Warteliste setzen, bei einer anderen konnte ich direkt einen Termin vereinbaren. Und so hatte ich ungefähr ein Jahr nach meinem ersten Verdacht den ersten Termin für eine Diagnostik, in den ich große Hoffnungen setzte, bald endlich die Erleichterung schwarz auf weiß zu haben.

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