Autistischer Burnout

Veröffentlicht am 24. September 2025 um 23:57

Selbst als ich mir mit meinem Autismus-Verdacht immer sicherer wurde und wusste, dass ich seit Jahren einen autistischen Burnout hatte, versuchte ich immer noch, den Burnout irgendwie zu unterdrücken; in den wenigen sozialen Situationen irgendwie mit allerletzter Kraft meine Maske zu tragen und die Rolle zu spielen, die ich seit ich denken konnte, unbewusst gespielt hatte; das letzte bisschen Energie dafür aufzuwenden, so zu tun als ginge es mir gut, nur um anschließend noch kaputter zu sein. Ich hatte schließlich keinen Beweis, keine fachliche Einschätzung, sondern nur eine Selbst-Diagnose, und was, wenn ich mich doch täuschte? Dass ein Meltdown dem nächsten folgte und ich fast durchgehend dissoziiert war, reichte mir anscheinend nicht als Beweis.

Als ich dann endlich die offizielle ASS-Diagnose schwarz auf weiß hatte, fiel die ganze Last von mir ab und der Burnout kam umso mehr zum Vorschein. Ich fühlte mich komplett leer und ausgelaugt. Es waren keine Ressourcen und auch keine Motivation mehr vorhanden, um mit der neurotypischen Welt klarzukommen. Ich hatte keine Lust und vor allem keine Kraft mehr, meine autistischen Eigenschaften zu maskieren. Mein Gehirn konnte keine neuen Informationen mehr aufnehmen, alles war zu viel. Nach jedem Gespräch war ich noch leerer. Mit anderen Menschen Konversation zu führen, sie etwas zu ihrem Leben zu fragen und ernsthaft interessiert die Antwort anzuhören, kostete so unendlich viel Energie, dass es eigentlich kaum möglich war. Einzige Ausnahme waren die Gespräche mit anderen Autist:innen über Themen, mit denen ich mich selbst sowieso beschäftigte. Aufgaben, die mich früher zwar Überwindung gekostet hatten, die ich aber trotzdem machen hatte können, erschienen mir jetzt wie eine riesige Hürde (z.B. einen Termin beim Optiker zu vereinbaren). Oft konnte ich mich nicht aufraffen, die Wohnung überhaupt zu verlassen, auch nicht um spazieren zu gehen, weil ich keine Kraft hatte, die Leute auf der Straße mit Blickkontakt zu grüßen, oder noch schlimmer, mit irgendjemandem Smalltalk zu führen. Ich wollte am liebsten nichts mehr hören und sehen von der Welt mit ihren tausend Reizen. Es fühlte sich an, als hätte ich in den ersten 30 Jahren meines Lebens meine gesamte Lebensenergie aufgebraucht und für die restlichen Lebensjahre war nichts mehr übrig geblieben.

Das schwierigste am autistischen Burnout ist, dass man den Ursachen nie dauerhaft entkommen kann. Wenn ein neurotypischer Mensch beispielsweise von seiner Arbeit einen Burnout hat, dann wäre die logische Konsequenz, dass er sich eine Zeit lang der Arbeit entzieht, um sich zu regenerieren, und anschließend anders an die Arbeit herangeht und die potentiellen Stressfaktoren eliminiert. Wenn man aber einen Burnout von sozialer Interaktion und Reizüberflutung hat, also von der „ganz normalen Welt“, wird es schwer, sich dem dauerhaft zu entziehen – es sei denn man will den Rest seines Lebens auf einer einsamen Berghütte verbringen.

Ein paar Hilfsmittel habe ich trotzdem für mich gefunden, um im Wahnsinn dieser Welt nicht komplett zu ertrinken, sondern wenigstens noch mit dem Kopf über Wasser zu bleiben: nur noch mit Ohrstöpseln aus dem Haus gehen, und je nach Wetter mit Sonnenbrille; Stimming Tools gezielt einsetzen, um Stress abzubauen; Handy-freie Zeiten einbauen; Lebensmittel online bestellen, um die Reizüberflutung im Supermarkt zu vermeiden; eine möglichst Blutzucker-regulierende Ernährung, um Meltdowns zu reduzieren; entweder abends oder bei Wolken, Regen, Nebel, Schnee spazieren gehen, um weniger Menschen zu begegnen und die starke Sonneneinstrahlung zu vermeiden; möglichst oft in die Natur gehen; Atemübungen, meditieren, Nervensystem-Regulation; genügend Input-freie Zeit einplanen, um den ganzen Input zu verarbeiten; meine Social Media Profile löschen; backen, malen, Harry Potter lesen, schreiben; soziale Interaktion auf Menschen begrenzen, bei denen ich möglichst wenig maskieren muss. Außerdem wurde mir bewusst, dass mein Hyperfokus eine immer zugängliche Möglichkeit ist, Urlaub von der Welt zu machen. Wenn ich (in einer reizarmen Umgebung) in eine Tätigkeit vertieft bin, fühlt es sich an, als wäre ich weg von dieser Welt… irgendwo anders… in meiner eigenen Welt. Dabei kann ich mich jedes Mal zumindest ein Stück weit von der sozialen und sensorischen Überlastung erholen. Natürlich prasselt im Anschluss sofort wieder alles auf mich ein, deswegen liegt die Kunst wohl darin, ein gesundes Verhältnis zu finden. Ich werde meine alltäglichen Stressfaktoren nie komplett eliminieren können, aber ich kann versuchen, sie so gering wie möglich zu halten und mit genügend Erholung auszugleichen – und zwar nicht erst, wenn es schon zu spät ist.

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